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2023-10-11T10:14:15+0000

Web-TV: Nachhaltigkeit – Das Thema nimmt Fahrt auf

„Neue Standards, grüne Werkstatt – Was kommt auf die Branche zu?“ lautete der Titel der Web-TV-Sendung, die vergangene Woche (5. Oktober) ausgestrahlt wurde. Mit dabei in der Talkrunde waren die Spitzen der Branchenverbände: ZKF-Hauptgeschäftsführer Thomas Aukamm, BFL-Präsident Steven Didssun und BVdP-Vorstandsvorsitzender Reinhard Beyer. Gemeinsam mit dem ZDK haben sie dafür gesorgt, dass ein Nachhaltigkeitssiegel auf den Weg gebracht wird. Ebenfalls im Talk dabei: Tobias Brefeld, Business Manager von Lackhersteller BASF. Die Münsteraner arbeiten mit ihrer Lackmarke Glasurit an einem ganzheitlichen Konzept für Nachhaltigkeitsstandards, das nun in Zusammenarbeit mit den Werkstätten auf den Weg gebracht werden soll. Doch was funktioniert an nachhaltigen Konzepten in der Praxis und was nicht? Von ihren Erfahrungen berichteten in der Gesprächsrunde Sonja Banic, Geschäftsführerin des Lackierzentrum Niedernhall in Heilbronn sowie Maximilian Stein, Geschäftsführer der Restemeier GmbH aus Osnabrück. Der Talk wurde im BASF Dialogforum der Bundesgartenschau in Mannheim aufgezeichnet – einem Ort, der wie kaum ein anderer für nachhaltige Wege in unserer Gesellschaft steht. ## EU-Lieferkettengesetz ist nur ein Stein des Anstoßes Doch warum müssen sich Betriebe überhaupt mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen? Ein Stein des Anstoßes ist laut Thomas Aukamm das Europäische Lieferkettengesetz, das ab kommendem Jahr vor allem in erster Linie größere Unternehmen betreffen wird, aber nach und nach auch auf die kleineren K&L-Betriebe zukommen werde, beispielsweise weil sie Teil der Lieferkette von Flotten und Kfz-Versicherern sind. Zudem ändere sich auch der Markt: „Die nächste Generation an Autofahrern wird kommen und die Nachhaltigkeit fordern, genau wie Kfz-Versicherer und Schadensteuerer als Auftraggeber", nannte Steven Didssun gleich zu Beginn der Sendung einen weiteren Grund. Dem pflichtete Reinhard Beyer bei: „Die Beschäftigung mit dem Thema ist für jederart Betriebe unausweichlich.“ Allen Regularien, die nun zu einem Umdenken bei den Betrieben hinsichtlich der Nachhaltigkeit führen werde zum Trotz, ermunterte Tobias Brefeld die Betriebe, darin auch eine Chance zu sehen, um aus wirtschaftlicher Perspektive voran zu kommen. ## Vielseitigkeit der Nachhaltigkeit braucht einheitliche Standards Dabei gibt es nicht DIE Nachhaltigkeit per se, das wurde im Laufe der Diskussion schnell klar: „Auch in unserer Branche ist das Thema Nachhaltigkeit ein weites Feld“, erläuterte Thomas Aukamm. Steven Didssun fügte hinzu: „Wir als Handwerker sind von vorherein schon nachhaltig: Wir halten unsere Geräte und Werkzeuge instand und sorgen nachhaltig für unsere Mitarbeiter.“ Der BFL-Präsident beobachte jedoch eine gewisse Müdigkeit bei den Werkstätten, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. „Daher liegt es an uns, die Mitarbeiter abzuholen und die Müdigkeit anzugehen“, betonte er. Und Reinhard Beyer gab zu bedenken, dass einheitliche Standards für die Nachhaltigkeit zukünftig umso wichtiger werden, um gemeinschaftlich nachhaltig zu arbeiten. „Etwas, wo jeder mitmachen kann und es keinen WIldwuchs gibt“, versuchte sich der BVdP-Vorstandsvorsitzende in einer Beschreibung ## Aus der Praxis, Teil 1: 5M-Methode Erfahrungen, wie nachhaltige Konzepte in K&L-Betrieben umgesetzt werden könnten, kamen während der Talksendung von zwei Betrieben. Im Lackierzentrum Niedernhall
zieht sich das Thema Nachhaltigkeit laut Inhaberin Sonja Banic bereits jetzt durch die Werkstatt wie ein roter Faden. Bereits vor Jahren habe sich der Betrieb mit dem Lackhersteller BASF zusammengetan, um das Unternehmen nachhaltiger zu gestalten. Im Detail heißt das: „Ressourcenschonende Arbeit durch eine Photovoltaik-Anlage, Optimierung aller Werkstattprozesse, Reduzierung des Gasverbrauchs um 30 Prozent“, zählt die Unternehmerin einige Beispiele auf und resümiert: „Wir waren selbst überrascht, was systematisch möglich ist.“ Um diese Faktoren zu erreichen, habe der Betrieb seinen Kundenstamm nach Energieverbrauch klassifiziert. Zudem setzt der Betrieb auf die sogenannte 5M-Methode, die Mitarbeiter, Maschinen, Material, (Reparatur)Methoden und Mitwelt beim Nachhaltigkeitsgedanken mit einfließen lässt. Dafür sei noch ein sechstes M erforderlich, das Management. „Denn Nachhaltigkeit ist eine Führungsaufgabe und erfordert perfekte Organisation. Erst wenn der Mitarbeiter begreift, welche Sinnhaftigkeit sein tägliches Tun hat, kann man von einer bewussten Organisation des Themas Nachhaltigkeit im Betrieb sprechen“, erläuterte Sonja Banic. ## Aus der Praxis, Teil 2: Drei Säulen für nachhaltigeres Handeln Ebenfalls auf einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz setzt die Restemeier GmbH aus Osnabrück. Bei dem Familienunternehmen mit rund 45 Mitarbeitern, basiert das Nachhaltigkeitskonzept laut Geschäftsführer Maximilian Stein auf drei Säulen: Einer ökologischen, einer ökonomischen und einer sozialen. Bei der ökologischen Komponente ist die Energiegewinnung ein großer Faktor. Der Betrieb in Osnabrück hat in eine PV-Anlage investiert, durch die die Hälfte des Energieverbrauchs selbst erzeugt werden kann. Zudem wurden die Heizungsanlagen mit Zusätzen versetzt, um die Heizkosten geringer zu halten. Aus ökonomischer Perspektive habe das Unternehmen in neueste Technologie investiert, um alle Reparaturarbeiten so effizient wie möglich durchführen zu können. Und aus sozialer Perspektive sorge die Restemeier GmbH durch flexiblere Arbeitszeiten und Homeoffice-Möglichkeiten dafür, auch in einigen Jahren noch guter Arbeitgeber sein zu können. Zudem misst das Unternehmen den eigenen CO2-Fußabdruck. Dafür werden Energieausstoß, zugekaufte Energie und auch die Methode erfasst, mit der die Mitarbeiter zur Arbeit kommen. ## Wie kann ein Standard für die nachhaltige Unfallschadenreparatur genau aussehen? Die beiden Beispiele aus der Praxis verdeutlichten den Talkteilnehmern: Klare Kriterien, die ein Nachhaltigkeitssiegel berücksichtigt werden könnten, gibt es zuhauf – sie müssten nur einheitlich definiert werden. Doch auf welchen Grundfesten sollte so ein Siegel überhaupt beruhen? „Das Label soll in jedem Fall allumfassend und markenneutral sein“, führte Thomas Aukamm die Pläne der Verbände auf. „Aus der Perspektive der Schadensteuerung könnte das Thema Nachhaltigkeit eins werden, das die Betriebe unter dem Stichwort Qualitätssicherung und -steigerung verkaufen könnten“, meint Reinhard Beyer. Hier wurde deutlich, wie wichtig es ist, dass sich alle Parteien auf gemeinsames Level einigen, auf dem das Siegel beruhe. Etwas dämpfend wirkte dabei auch das Ergebnis einer BFL-Konjunkturumfrage, von der Steven Didssun im Talk berichtete: Laut der Umfrage arbeiten die meisten Betriebe bereits ressourcenschonend, lehnen in der Mehrzahl aber ein Label ab. „Hauptgrund dafür ist der hohe bürokratische Aufwand, den die Werkstätten dahinter vermuten. Hier müssen wir Verbände also noch viel Überzeugungsarbeit leisten“, erkannte der BFL-Präsident. ## Welche Kriterien sollten Betriebe erfüllen müssen? ZUr Definition bestimmter Kriterien hat der Lackhersteller BASF bereits umfangreiche Vorarbeit geleistet. Laut Michael Gesell, BASF Reparaturlacke, Digitalisierung &
Nachhaltigkeit Region DACH+, laufen bereits seit geraumer Zeit Gespräche mit allen Beteiligten der Unfallschadenbranche – sogenannten Stakeholdern – um zunächst 28 klare Kriterien für ein Nachhaltigkeitszertifikat aufzustellen. Dazu gehören, wie auch schon praktisch beim Beitrieb Restemeier geschildert, ökonomische (Unternehmensstrategie, Kennzahlengesteuerte Unternehmen), ökologische (CO2-Reduktion, I statt E) und soziale Komponenten (Umgang mit Partnern und Lieferanten, aber auch der Umgang mit Mitarbeitern und Vergütung dieser). „Unternehmen, die sich mit ihrem ökologischen Fußabdruck beschäftigen und dabei auch ökonomische und soziale Aspekte berücksichtigen, werden Vorreiter in der Branche sein und können auch so langfristig wettbewerbsfähig bleiben“, betonte Michael Gesell. ## Die Zeit drängt Tobias Brefeld verstärkte im Talk das Signal nochmal, hinsichtlich der Nachhaltigkeit mit einheitlichen Standards ein Zeichen zu setzen. Dabei sei die Zusammenarbeit mit einem bestimmten Lackhersteller gar nicht so relevant. Vorstellbar sei, eine Zertifizierung mit einer unabhängigen Organisation so transparent wie möglich durchzuführen. Er betonte aber auch wiederholt, dass die Zeit angesichts der gesetzlichen Rahmen dränge: „Wir haben nur noch wenig Zeit, proaktiv agieren zu können. Auch kleinere K&L-Betriebe werden bereits ab 2024 von der Berichtspflicht ihrer Lieferanten betroffen sein.“ In der Kürze der Zeit mit dieser Komplexität des Themas an die Betriebe heranzutreten, werde eine Meisterleistung sein. „Wir müssen diese Komplexität für die Betriebsinhaber verständlich übersetzen – das ist Aufgabe der Verbände und der Lieferanten gleichermaßen.“ ## „Die größte Scheu liegt in der Unwissenheit der Betriebe“ Mit dem Blick auf diese Komplexität des Themas traf Reinhard Beyer den Nagel auf den Kopf: „Die größte Scheu vor dem Thema Nachhaltigkeit und einem damit verbundenen Siegel liegt in dem Unwissen der Betriebe. Viele verbinden es mit Regularien und Verpflichtungen. Dabei haben viele Unternehmen vielleicht sogar schon einen Großteil der Punkte erfüllt.“ Laut Steven Didssun braucht es von den Betrieben in erster Linie eine Selbsteinschätzung, die durch objektive und neutrale Daten dann eigeordnet wird. „Wichtig ist, dass es sich um eine freiwillige Initiative handelt, denn mit Zwang wird es nicht gehen.“ Dem pflichtete Thomas Aukamm bei. Er glaubt, dass sich allein auf der Kostenebene ein ganz wichtiges Argument für gemeinsame Standards befindet. Denn: „Derjenige, der weniger CO2 ausstößt, wird weniger Kosten haben. Das wird für Betriebe, aber auch für deren Partner die wichtigste Motivation sein.“ ## Benchmark als Motor In der Praxis bedeutet das: Es ist wichtig, transparent an die Betriebe zu kommunizieren, dass da gar nicht so viel von ihnen verlangt wird. Die Werkstätten sollten die Gelegenheit nutzen, sich einfach an einer Art Benchmark messen zu können. Zudem ist ressourcenschonendes Arbeiten die Grundlage für Zukunftsfähigkeit. Viele Betriebe sind dabei schon weiter, als sie denken. Diese positive Grundeinstellung teilt auch Sonja Banic, die in der Erfassung bereits vorliegender Nachhaltigkeitskriterien von den Unternehmen den größten Antrieb zur Verbesserung erkennt: „Die, die jetzt punkten, sollten einen Nutzen daraus haben. Die, die weiter hinten liegen, sollten die Chancen nutzen, ihr Verbesserungspotenzial zu erkennen!“ ## Nachhaltigkeit gewinnt auch für Schadensteuerer und Kfz-Versicherer an Bedeutung In zwei Videoeinspielern während der Sendung erläuterten Kfz-Versicherer und Schadensteuerer, wie sie das Streben der Branche nach einem Nachhaltigkeitskonzept
einschätzen. Laut Michele Tancredi, Prokurist beim Schadensteuerer riparo, wird das Thema Nachhaltigkeit in den nächsten Monaten bei Kfz-Versicherern an Bedeutung gewinnen. Daher sei es besonders wichtig, dass sich die gesamte Branche jetzt schnell auf einheitliche Kriterien für die nachhaltige Unfallschadenreparatur einige und diese gemeinsam mit allen Parteien umsetze. Er hält ein Stufenmodell für sinnvoll, das transparent und unabhängig geprüft werden sollte. ZKF-Hauptgeschäftsführer Thomas Aukamm warf an dieser Stelle ein, dass bei der Erarbeitung des Siegels auch die Versicherer und deren Interessensvertretung in Form des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherer (GDV) mit einbezogen werden sollen, um die Neutralität zu wahren. Dieses Stufenmodell sieht auch Tobias Brefeld als einen realistischen Ansatz. Denn die Dynamik des Marktes erfordere es, zuerst mit einem 90-prozent fixen Kriterienkatalog zu starten und dann nachzubessern. Dem pflichtete Thomas Aukamm bei: „Es muss ein dynamischer und pragmatischer Ansatz sein, der sich den aktuellen Marktbedingngen anpasst.“ Auch Thomas Geck, Schadenchef bei der HUK-Coburg, begrüßte in einem Videoeinspieler die steigende Bedeutung, die dem Thema Nachhaltigkeit auch in unserer Branche zuteil wird. Demnach analysiere der Versicherer das Thema in Zusammenhang mit den Partnerbetrieben. Hier seien I statt E, aber auch Gebrauchtteile und Energieversorgung der Betriebe Themen, auf die die HUK-Coburg genauer schaue, um Standards zu definieren. ## Der erste Schritt ist getan – wie geht es nun weiter? Alle am Talk Beteiligten waren sich einig, dass die Erarbeitung eines Nachhaltigkeitssiegels oder bestimmter Standards für eine nachhaltige Unfallreparatur noch in den Anfängen steckt. Deutlich wurde aber auch: Nachhaltigkeit gibt es ganz sicher nicht zum Nulltarif. „Die Stundensätze der Betriebe müssen dementsprechend angehoben werden“, meinte Steven Didssun ganz klar. Betriebsinhaberin Sonja Banic jedenfalls freut sich schon darauf, ein Nachhaltigkeitszertifikat in der Hand zu halten. Darauf arbeitet sie nach eigenen Angaben hin: „Wichtig ist, dass man sein eigenes Handeln hinterfragt. Es brauchen nicht immer die großen Maßnahmen zu sein – manchmal reichen schon kleine Stellschrauben.“ Maximilian Stein gibt anderen Betrieben einen konkreten Rat: „Lassen Sie sich nicht vom Thema Nachhaltigkeit verunsichern. Ein K&L-Betrieb ist per se schon nachhaltig, wir machen also schon viel richtig.“ Steven Didssun wünscht sich, dass die Betriebe, die Müdigkeit überwinden und den ersten Schritt gehen. „Lasst uns gemeinsam darüber nachdenken, was man jetzt schon kann und das Thema Nachhaltigkeit mit Leben zu füllen.“ Doch wann soll das neue Siegel überhaupt kommen? Einen konkreten Zeitpunkt konnte Thomas Aukamm noch nicht nennen. „Wichtig ist, ins Thema reinzukommen, bevor es gesetzliche Regularien gibt“, riet Steven Didssun. Reinhard Beyer betonte: „Wir versuchen, ein Verständnis zu entwickeln, dass wir gemeinsam das Siegel auf den Weg bringen.“ Sein Lob galt der Kooperation der Verbände. „Es ist sensationell, dass wir vier Verbände so eng für das Thema Nachhaltigkeit zusammenarbeiten. Das Schlusswort hatte Tobias Brefeld: „Die Beschäftigung mit der Nachhaltigkeit ist unvermeidbar und erfordert seitens der Betriebe auch einen gewissen Mut.“