2024-03-20T09:13:14+0000

Schadenkalkulation: Hinterfragen und prüfen Sie jeden einzelnen Arbeitsschritt!

Ob Verbund- oder Umfasstarbeiten, verdeckte Schäden oder das korrekte Lacksystem für eine unsichtbare Reparaturlackierung – die Unfallschadenreparatur wird immer komplexer. Und die ausführliche Schadenkalkulation deshalb immer wichtiger. Denn andernfalls geht den Reparaturwerkstätten bares Geld verloren. Doch genau da liegt der Knackpunkt, wie Mario Spitznagel im letzten Automotive Online Forum von der Kanzlei Voigt erklärt. Der gelernte Karosserie- und Fahrzeugbaumeister war nicht nur viele Jahre selbst in der Werkstatt tätig, sondern hat sich auch darüber hinaus im Referat Technik des Zentralverband für Karosserie- und Fahrzeugtechnik (ZKF) intensiv mit fehler- oder mangelhaften Arbeitszeitwerten auseinander gesetzt. Als Key Account Manager der Kanzlei Voigt sensibilisierte er die über 520 Webinar-Teilnehmer nun genau dahingehend. So betonte der Experte: „Die Schadenkalkulationssysteme werden oftmals als Bibel angesehen und die Anwender verlassen sich meist blind auf die dort hinterlegten Daten und Kalkulationen.“ ## KN, Arbeitsaufwand, ZAX – Darauf sollten Sie achten! Genau das sei jedoch oftmals ein Problem. Denn häufig fehlen in den Kalkulationssystemen die vom Fahrzeughersteller vorgegebenen Arbeitszeiten – entweder weil sie schlicht nicht verfügbar oder häufig noch nicht veröffentlicht sind. In diesen Fällen werden die Lücken durch den Kalkulationssystemanbieter selbst durch Referenzwerte gefüllt. Das zeigte Mario Spitznagel auch anhand einer Beispielkalkulation eines „wie man in der Werkstatt sagt, Brot- und Butter-Fahrzeuges“ in der SilverDAT-Kalkulationssoftware. Im konkreten Fall soll die linke hintere Seitenwand eines Hyundai Tucson (12/2020) erneuert werden. Bereits für die erste Arbeitsposition gibt es keine Arbeitspositionsnummer, stattdessen ist dort der Status „Arbeitsaufwand“ mit insgesamt acht Stunden angegeben. „Das bedeutet, dass hier vom Fahrzeughersteller keinerlei Informationen zu Arbeitszeit vorgegeben werden, sondern diese Arbeitszeit vom Schadenkalkulationsanbieter aufgefüllt wird“, erklärt der Experte. Ob diese Arbeitszeit aber tatsächlich der Realität entspricht, wisse am Ende nur die Werkstatt beziehungsweise der Mitarbeiter, der die Arbeit ausführt. Umso wichtiger ist hier aus Sicht des Experten die Dokumentation des tatsächlichen Arbeitsaufwandes und die Zeiterfassung. Obacht ist auch bei Arbeitspositionen geboten, die zwar eine Arbeitspositionsnummer haben, jedoch mit einer Raute (#) gekennzeichnet sind. „Das bedeutet, es gibt eine Arbeitszeit vom Hersteller die aber noch nicht veröffentlicht ist“, erklärt Mario Spitznagel. Werkstätten sollten deshalb ein besonderes Augenmerk auf solche Positionen legen und
am Ende der Reparatur sollte überprüft werden, ob die vorgegebenen Arbeitszeiten tatsächlich korrekt waren oder ob mehr Stunden angefallen sind. Die Problematik gelte übrigens für alle Kalkulationsdatenanbieter, jedoch unterscheiden sich manchmal die Begrifflichkeiten. Bei Audatex werden fehlende Herstellerdaten beispielsweise mit dem Kürzel „KN“ für „Keine Arbeitspositionsnummer“ angegeben. ## „Es werden zu wenige Farbmusterbleche lackiert“ Das gilt übrigens nicht nur für Karosseriearbeiten, sondern auch für die Lackierung. So sind beispielsweise die Arbeitspositionen „Vorbereitung“, „Farbmuster und Farbtonfindung“ sowie „Farbtonangleich Mischanlage“ mit der Stufe „Arbeitsaufwand“ gekennzeichnet im Kalkulationsprogramm. Für den Hyundai wird in dem konkreten Fall die Lackart „Metallic 2-Schicht“ angegeben. „Aber“, so der Experte, „gilt das auch für die Reparaturlackierung?“ Denn der Hersteller verweist ausdrücklich darauf, dass das Lacksystem nur in Garantiefällen zu verwenden ist, im Reparaturfall muss ein anderes Lacksystem genutzt werden. Und dieses kann, so betont Mario Spitznagel, dann beispielsweise auch ein 3-Schichter sein. „All das kann die Werkstatt aber erst am Ende der Prozesskette wissen und nicht am Anfang bei der Gutachtenerstellung oder der Kalkulation.“ Die konkrete Anzahl der Farbmusterbleche sei daher vom Lackhersteller abhängig. Zur konkreten Erklärung präsentierte der Key Account Manager einen Auszug eines Reparaturlackanbieters zum Reparaturverfahren beim Mazda 46G Machine Grey. In diesem Fall gibt der Lackhersteller konkret drei Musterbleche mit 3, 4 und 5 Spritzgängen vor, ebenso wie den notwendigen Füllerfarbton. Diese Vorgaben werden in vielen Fällen so durchgeführt, jedoch selten hinterher auch so abgerechnet, weiß der Experte aus seiner jahrelangen Erfahrung in der Praxis: „Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Es werden zu wenige Farbmusterbleche lackiert.“ ## Gutachtenerweiterung bei größeren Abweichungen Und genau deshalb appelliert der Key Account Manager wiederholt in Richtung der Werkstätten: „Hinterfragen und überprüfen Sie jeden einzelnen Arbeitsschritt dahingehend, ob die dort angegebene Arbeitszeit auch tatsächlich mit Ihrer Arbeitszeit übereinstimmt.“ Zudem sollte gerade bei Dachhaut- oder Seitenwanderneuerungen immer auch geprüft werden, dass wirklich alle Verbundarbeiten berücksichtigt wurden. Und wenn genau dies nicht der Fall ist, dann sollten die Werkstätten diese zusätzlich im Nachgang berechnen. „Es ist ganz natürlich, dass es zu Veränderungen oder Abweichungen zum Gutachten kommt. Bei größeren Abweichungen sollten Sie den Gutachter um eine Gutachtenerweiterung bitten“, rät der Experte. Die enge Kommunikation zwischen Mitarbeiter, Werkstatt und Gutachter sei ohnehin von hoher Bedeutung. Denn nur so könne sichergestellt werden, dass die Kalkulation vollständig ist. Nur in den seltensten Fällen könne aus Sicht des Karosserie- und Fahrzeugbaumeisters bereits im Vorfeld eine vollständige Schadenkalkulation erstellt werden. „Es gibt immer Lücken und genau dabei soll die IFL-Liste helfen.“ [Die Liste der freiwählbaren Arbeitspositionen von der Interessengemeinschaft für Fahrzeugtechnik und Lackierung (IFL), die Mario Spitznagel selbst viele Jahre mit befüllt hat, soll die Betriebe dabei unterstützen, eben diese Lücken zu füllen.](https://schaden.news/de/article/link/43732/ifl_aufgaben_und_bedeutung) Der Experte betonte: „Das ist aber kein Selbstbedienungsladen, hier muss mit Sach- und Fachverstand herangegangen werden.“ ## Zusätzliche Aufwendungen Darüber hinaus gibt es weitere mögliche zusätzliche Aufwendungen, die – sofern sie tatsächlich angefallen sind – auch abgerechnet werden sollten. Dazu können beispielsweise mehrfaches Handling des Fahrzeuges, das Erstellen weiterer Farbmusterbleche sowie dafür angefallene Materialkosten oder eine Mehrfachbelegung der Lackierkabine zählen. Mit einer sauberen Dokumentation und Kommunikation zwischen Mitarbeitenden, Werkstatt und Sachverständigen sei aber all das kein Problem, betonte der Experte zum Abschluss noch einmal.
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