2022-05-24T09:53:19+0000

Web-TV: „Ohne elektronische Diagnose lässt sich heute kein Fahrzeug mehr instandsetzen“

Vom Auslesen von Fahrzeugdaten bis zur Justage von Assistenzsystemen nach Reparaturen oder Teiletausch: Die Arbeit an und mit elektronischen Systemen hat in K&L-Betrieben längst Einzug gehalten. Erweiterte Funktionsumfänge und immer neue Materialien und Technologien steigern die Komplexität der Reparaturprozesse teils erheblich und erhöhen auch den Investitionsdruck. Beim Schadentalk im Web-TV in der vergangenen Woche (19.05.) diskutierten die Teilnehmer daher darüber, mit welchen Strategien sie diesen Herausforderungen begegnen und wie sich freie Werkstätten aufstellen sollten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. ## „Fahrerassistenzsysteme sind mittlerweile angekommen“ Zum Auftakt der Sendung, die im Nürnberger Diagnose- und Kalibriercenter CheckPoint von Hella Gutmann Solutions aufgezeichnet wurde, stand der Ist-Zustand bei Diagnose und Kalibrierung von Fahrerassistenzsystemen im Fokus. „Ohne elektronische Diagnose lässt sich heute kein Fahrzeug mehr instandsetzen“, verdeutlichte etwa Jürgen Hofmann, Senior Strategic Business Manager und Prokurist bei Hella Gutmann Solutions, die zentrale Bedeutung dieser Technologie. Da etwa Notbremsassistenten mittlerweile auch zu den gesetzlich vorgeschriebenen Systemen zählten, sei heute wirklich jede Werkstatt gefordert, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Mit dem eigenen CheckPoint-Konzept verfolge der Ausrüster daher eine umfassende Lösung, in der von der Achsvermessung über Scheinwerfereinstellungen bis hin zur Diagnose und Kalibrierung neuester Radar- und Lidarsensoren alle Aspekte abgedeckt seien. 50 dieser Kompetenzzentren seien inzwischen umgesetzt, eine deutschlandweite Abdeckung in der Größenordnung zwischen 350 und 500 Standorten werde angestrebt. ## Abweichen von OEM-Vorgaben ruft messbare Effekte hervor Auf die Herausforderungen bei der Instandsetzung von mit Komfort- und Assistenzsystemen ausgestatteten Fahrzeugen wies Helge Kiebach, Geschäftsführer des Kraftfahrzeugtechnischen Instituts (KTI) hin. In einer derzeit noch laufenden Studie untersucht das KTI, ob die strengen Vorgaben der Hersteller bei der Stoßfängerlackierung tatsächlich berechtigt sind. „Ja, wir haben tatsächlich große Effekte gesehen, wenn abweichend von den OEM-Vorgaben repariert wird. Das heißt, es gibt auch spürbare und messbare Abweichungen im Verhalten dieser Assistenzsysteme“, lautet das Zwischenfazit des Experten. Wichtig sei es zudem, die jeweiligen Assistenzsysteme und -funktionen nicht isoliert, sondern in der Gesamtschau wahrzunehmen. ## Bedeutung tagesaktuell verfügbarer Informationen wächst Vor diesem Hintergrund unterstrich Michael Schnitzler, Geschäftsführer von junited AUTOGLAS, wie wichtig es sei, mit den technologischen Entwicklungen Schritt zu halten. Um die Zeitfenster zu schließen, die zwischen Neuzulassungen oder kurzfristigen Hersteller-Software-Updates und der Verankerung in den Hardware-Lösungen entstehen, setzt das Unternehmen für seine Betriebe auf ein in Kooperation mit Hella Gutmann erarbeitetes Lizenzmodell, das auch die Kalibrierung per Internet ermöglicht.
„Per Remote-Aufschaltung können wir die Lücke schließen“, stellt der Geschäftsführer fest. Als Spezialist die komplette Dienstleistung in der Werkstatt anbieten zu können, wertet er als Chance für angeschlossene Betriebe, zumal Fahrzeuge nun nicht mehr extern verbracht werden müssten. „Es wird immer wichtiger, dass man die tagesaktuellen und Fahrzeug-individuellen Vorgaben des Herstellers einsieht und auch abarbeitet“, bestätigte Helge Kiebach. ## Glasherstellung und -tausch werden anspruchsvoller Die Einschätzung des Experten, der mit einer Zunahme der Komplexität rund um die Kalibrierungsthematik rechnet, bestätigt David Nölle vom Autoglas-Produzenten Pilkington. Der General Manager Automotive Aftersales führte dies auch darauf zurück, dass die Glasprodukte selbst komplexer geworden seien, sowohl durch die Formgebung, aber auch die zahlreichen Sicherheits- und Komfort-Features. Ausgehend von einem Video-Einspielers zur Frontscheiben-Verklebung des Kleb- und Dichtstoffherstellers Sika, zeigte David Nölle auf, welche Folgen eine fehlerhafte Kalibrierung der Kamera auf die Funktionsweise der Fahrerassistenzsysteme haben kann. Angefangen bei leichteren Glasmaterialien mit komplexer Formgebung, UV-absorbierenden Beschichtungen, über eingearbeitete Antennen für den Datentransfer bis hin zu noch leistungsfähigeren Kamerasystemen und Head-up-Displays: Der Manager sieht hier künftig aufgrund der dafür erforderlichen engen Fertigungstoleranzen nicht nur bedeutende Herausforderungen bei der Herstellung, sondern auch im Reparaturbereich. ## Sorgfalt des Anwenders als entscheidender Faktor Drei Voraussetzungen müssen aus der Sicht von Helge Kiebach erfüllt sein, damit Fehlfunktionen nach Reparaturen vermieden werden: Die richtigen Geräte zur Diagnose und Kalibrierung, aktuelle Herstellervorgaben und qualifiziertes Personal. Ungeachtet der technischen Dimension sei besonders der Faktor Mensch von Bedeutung: „Aus unserer Erfahrung heraus kommt der Sorgfalt des Anwenders hierbei eine ganz entscheidende Rolle zu“, betont der Experte. An der Schwelle zum Zeitalter des Automatisierten Fahrens trete nämlich die Haftbarkeit des Fahrzeuglenkers immer mehr in den Hintergrund, während die Verantwortung der Werkstätten für etwaige Reparaturfehler zunehme. Schulungen der Werkstattmitarbeiter direkt beim Gerätehersteller, aber auch das Wissen um Fahrzeughersteller und deren Vorgaben und eine gewissenhafte Dokumentation der durchgeführten Arbeiten seien daher wichtige Aspekte, die Werkstätten berücksichtigen sollten. „Wir brauchen die Hardware, geschultes Personal und wir müssen entsprechend auch unsere Kunden darauf aufmerksam machen, dass hier ein Veränderungsprozess stattfindet“, betonte Michael Schnitzler. ## Strategische Ausrichtung freier Werkstätten rückt in den Fokus Ein am Lausitzring aufgenommener Video-Einspieler mit Steffen Hladik, Leiter Gesamtfahrzeug der DEKRA Automobil GmbH, veranschaulichte, welche Entwicklungen bei den Fahrerassistenzsystemen künftig auf die Branche zukommen werden. Auf die Frage, wie sich vor allem freie Werkstätten angesichts dieser Entwicklung behaupten können, riet Helge Kiebach den Betriebsinhabern zu einer genauen Analyse ihrer zukünftigen Ausrichtung bezüglich Marken- und Modellabdeckung sowie hinsichtlich der dafür erforderlichen Partner. „Diese Entscheidungen müssen jetzt getroffen werden
– dann haben auch freie Betriebe in Nischen oder bestimmten Bereichen eine sehr gute Zukunft“, stellte der Experte fest. David Nölle bescheinigte dem freien Markt ebenfalls gute Chancen und hob die große Anpassungsfähigkeit hervor, die freie Betriebe bereits in der Vergangenheit immer wieder unter Beweis gestellt hätten. Wichtig sei vor allem, in jedem Szenario eine prozesssichere Abwicklung sicherzustellen, erklärte der Pilkington Manager. Neben einer leistungsfähigen Datenleitung legte Jürgen Hofmann den Betrieben vor allem ans Herz, sich bei der technischen Ausrüstung an den Protokollformen der Hersteller zu orientieren und auch den Trend zur Vernetzung mehrerer Systeme untereinander im Auge zu behalten. Ebenso wichtig seien das Thema Mitarbeiter-Trainings und eine offene Haltung bei der Wahl geeigneter Kooperationspartner. Michael Schnitzler ermutigte Betriebe, den einmal gefassten Weg konsequent weiterzugehen und ihre Wettbewerbsfähigkeit durch kontinuierliche Investitionen zu festigen. „Das Morgen bietet viele Chancen“ lautete daher sein Fazit.
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