2022-05-04T07:57:47+0000

E-Mobilität: „Herstellerinformationen und Qualifizierung sind die Basis für Betriebe“

Die Mobilitätswende kommt jetzt und in den nächsten Jahren auch mit voller Wucht in den K&L-Betrieben an. Branchenexperten und Verbände appellieren deshalb schon länger an die Werkstätten, sich auf die Instandhaltung von Elektrofahrzeugen einzustellen und vorzubereiten. Aber welche Herausforderungen gehen für Betriebe damit einher und welche Rolle spielen Qualifizierungen und Herstellerinformationen? Darüber diskutierten die Teilnehmer vergangene Woche (28.04.) beim Schadentalk im Web-TV, der im Autoforum Dojmi im hessischen Amöneburg aufgezeichnet wurde. ## „Der Kelch wird an keinem Betrieb vorbeigehen“ Zwar sei das Reparaturvolumen bei derzeit rund 600.000 zugelassenen Elektrofahrzeugen gegenüber 48 Millionen Verbrennern noch überschaubar – aber, so betonte Key Account Manager Kai Gräper von AkzoNobel: „Schaut man sich die Neuzulassungen an und das von der Bundesregierung ausgerufene Ziel, bis 2030 mindestens 15 Millionen rein elektrische Pkw auf die Straße zu bringen, dann rollt da eine Welle auf uns zu. Der Kelch wird an keinem Karosserie- und Lackierbetrieb vorbei gehen.“ Eben deshalb arbeite der Lackhersteller mit Hochdruck daran, die Partnerbetriebe seines Werkstattnetzwerkes Acoat Selected für den Umgang mit Hochvolttechniken zu qualifizieren. ## Strategische Ausrichtung für die Zukunft Betriebsinhaber Dragan Dojmi ist mit seinem Autoforum Dojmi teil des Acoat Selected-Netzwerkes und investiert aktuell rund 1,5 Millionen Euro in einen separaten Neubau für die Reparatur und Wartung von E-Fahrzeugen. Acht neue Elektro-Arbeitsplätze sollen hier entstehen, ebenso Schnelllade-Stationen, die u.a. durch eine geplante Solaranlage auf dem Dach gespeist werden sollen. „Ich sehe immer mehr Elektroautos auf den Straßen und bin davon überzeugt, dass das Thema durch die hohen Kraftstoffpreise noch an Bedeutung gewinnt“, erklärt der Betriebsinhaber den Grund für die Investition und ist überzeugt davon, sich damit strategisch für die Zukunft besser zu positionieren. ## „Jetzt investieren“ Ein richtiger Schritt aus Sicht von Andreas Brodhage. Der Geschäftsführer von Global Automotive Service (G.A.S.) richtet das Werkstattnetz bereits seit 2013 konsequent auf die Antriebstechnologie aus und hat mit rund 600 zertifizierten Betrieben das größte freie Werkstattnetz für E-Mobilität in Deutschland geschaffen. „Jetzt ist für Werkstätten die richtige Zeit zu investieren, weil der Markt sich dramatisch schnell entwickeln wird“, betonte er in diesem Zusammenhang. Denn – das wurde in der Talkrunde mehrfach deutlich – die Elektromobilität ist mehr als
nur ein zusätzliches Geschäftsfeld. Sie markiert die größte Mobilitätswende überhaupt im Automotive Aftersales-Markt. Betriebe kämen also nicht umhin, sich darauf vorzubereiten. ## Neue Automobilhersteller kommen auf den Markt Reparatur- und Servicenetzwerke würden vor allem mit Blick auf neue Automobilhersteller, die Elektroautos ausschließlich online vertreiben, künftig stärker gefragt, ist sich Kai Gräper sicher: „Diesen OEMs fehlt allen ein Servicenetzwerk, das heißt sie werden auf den freien Werkstattmarkt zurückgreifen. Das ist eine riesige Chance für K&L-Betriebe.“ Das bestätigte auch Stefan Sauer von Cognizant Mobility. Der IT-Dienstleister entwickelt für OEM unter anderem Systeme im Bereich E-Mobility: „Wir stehen bereits mit einigen neuen Marktplayern in Kontakt, die möglichst schnell in die Vermarktung gehen wollen und keine Zeit haben, erst ein eigenes Netzwerk für Reparatur und Service aufzubauen.“ ## „Herstellerinformationen sind der Dreh- und Angelpunkt“ Doch schnell wurde klar: Um im Mobilitätswandel nicht abgehängt zu werden, braucht es nicht nur die entsprechenden Qualifizierungen. „Die Hochvoltschulungen sind nur die Basis“, führte Andreas Brodhage aus. „Dreh- und Angelpunkt sind – mehr noch als bei Verbrennertechnologien – die Herstellerinformationen“, so der G.A.S.-Geschäftsführer. „Ohne deren Kenntnis brauchen Sie an so einem Fahrzeug gar nicht anfangen zu arbeiten“, bekräftigte auch Stefan Sauer. Und genau da liegt der Knackpunkt für viele freie Kfz-Betriebe: Denn die Herstellerinformationen – das führte auch Rainer Kühl vom Kraftfahrzeugtechnischen Institut (KTI) in einem Videostatement aus – sind nicht immer verfügbar oder liegen in unterschiedlich detaillierter Form vor. Ein Problem, das Dragan Dojmi aus seiner täglichen Arbeit nur zu gut kennt. Sein Vorteil: „Ich habe zum Glück einen sehr erfahrenen und qualifizierten Kollegen, der auf Elektrofahrzeuge spezialisiert ist. Andernfalls hätte ich die Investition in einen Neubau nicht gewagt.“ Immerhin: Cognizant Mobility und G.A.S. arbeiten bereits daran, Werkstätten künftig den Zugang zu den Informationen der Hersteller zu vereinfachen und wollen mit „Omni“ eine entsprechende Wissensplattform aufsetzen. ## Permanente Weiterbildung gefordert Hinzu kommt, dass die Anforderungen im Rahmen der Reparatur immer größer werden, da viele Systeme noch in der Entwicklung seien. „Alle halbe Jahre bringt ein Hersteller ein neues System oder ein Update auf den Markt – das heißt, die Palette an Wissen, die ein Mechaniker haben muss, wird immer größer“, so Stefan Sauer. Die Reparatur von Elektrofahrzeugen sei deshalb mit einem ständigen Lernprozess verbunden, fasste Andreas Brodhage zusammen. Aus ebendiesem Grund setzen sowohl G.A.S. als auch das AkzoNobel – die seit 2018 miteinander kooperieren – auf die permanente Schulung und Weiterbildung in diesem
Bereich, auch mithilfe von Cognizant Mobility. „Dazu zählen vor allem auch Produktschulungen, damit die Fachbetriebe die Vorgaben der Hersteller auch tatsächlich richtig umsetzen können“, merkt Andreas Brodhage an. ## Kooperationen werden immer wichtiger Und gerade dieser Wissenstransfer zwischen allen Branchenbeteiligten wird eine entscheidende Rolle beim Thema Elektromobilität für Reparaturbetriebe spielen – darüber sind sich die Talkgäste einig. Die Kooperationen von G.A.S. mit AkzoNobel und Cognizant Mobility seien das beste Beispiel dafür, beide Parteien würden gegenseitig voneinander partizipieren. „Wir brauchen ein stärkeres Miteinander. Denn nur gemeinsam können wir das Geschäft in Zukunft besser betreiben, weil wir uns entsprechend austauschen und weiterentwickeln müssen“, appelliert Andreas Brodhage abschließend. Betriebe sollten jedoch nicht mehr allzu lange zögern, sondern sich zeitnah auf den Wandel der Antriebstechnologien einstellen, meint Kai Gräper: „Jetzt ist die Zeit, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Jetzt müssen sich Betriebe qualifizieren.“ Und Stefan Sauer ergänzt: „Natürlich wird der Markt anspruchsvoller, aber er wird sich auch vergrößern. Und das ist eine große Chance für K&L-Betriebe und Fachkräfte.“ Betriebsinhaber Dragan Dojmi will diese Chance nutzen und investiert jetzt in seine Zukunft. Er ist überzeugt: „Man muss es wollen, natürlich ist es nicht immer leicht. Aber mit den richtigen Partnern an der Seite wird es etwas einfacher.“
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